Interview: Roboter im Mauerwerksbau
Eric Brehm ist Bauingenieur und lehrt Stahlbeton- und Mauerwerksbau an der Hochschule Karlsruhe. Er ist Obmann im Technischen Ausschuss für Mauerwerk und interessiert sich für Robotik insbesondere im Mauerwerksbau.
INTERVIEW
Redaktion: Der demografische Wandel wird auch auf die Bauwirtschaft erhebliche Auswirkungen haben. Das Bauhandwerk hat heute schon große Schwierigkeiten, junge Menschen für die Ausbildung in den Bauberufen, wie Maurer etc., zu gewinnen. Einen Lösungsansatz für den drohenden Fachkräftemangel könnten digitale Technologien im Umfeld von Industrie 4.0 bieten. Wie sieht es im Mauerwerksbau mit der Einführung von Robotern aus?
Eric Brehm: Ja, das Thema Fachkräftemangel im Handwerk ist ein wirkliches Krisenthema. Der Maurerberuf ist für junge Menschen offen-sichtlich nicht mehr attraktiv genug. Das Thema Robotik im Mauerwerksbau ist dagegen gar nicht so neu, das gibt es schon seit längerem, in der automatisierten Vorfertigung von Mauerwerkstafeln zum Beispiel. In den 1990er-Jahren wurde an der Universität Stuttgart an solchen Robotern geforscht. Bei der Herstellung im Fertigteilwerk kamen damals verschiedene Roboter zum Einsatz, die auch ganz gut miteinander funktioniert haben. Zeitgleich hatte man auch einen Roboter für die Baustelle entwickelt. Der war auf einem Kettenfahrzeug montiert, konnte sich schon einigermaßen gut auf der Baustelle orientieren und selbstständig Steine umsetzen. Bei einem Pilotprojekt wurde eine Garage damit gebaut. Allerdings mussten viele Arbeiten noch manuell gemacht werden: Teilweise mussten die Fugen nachgezogen werden, die Kimmlage musste händisch erstellt werden und außerdem war der Roboter relativ fehleranfällig und der Wartungsaufwand dementsprechend hoch.
Inzwischen ist die Robotik insgesamt im Bauwesen stark auf dem Vormarsch, im Stahlbetonbau zum Beispiel können schon Rohbauten gedruckt werden. Auch im Mauerwerksbau gibt es neuere Entwicklungen: So wurde in den USA der Roboter „Sam100“ von der Firma Construction Robotics vorgestellt. Das ist allerdings kein autonom agierender Roboter, sondern eher ein Werkzeug, das flächenweise Mauerwerk erstellen kann. Ecken und Fugen müssen manuell erstellt werden. „Sam100“ arbeitet mit dem in den USA typischen kleinformatigen Mauerwerk, mit Betonsteinen. Mit dem bauphysikalisch anspruchsvollen Mauerwerk, wie wir es kennen, funktioniert dieser Roboter nicht.
Eine vielversprechende Entwicklung wurde an der ETH Zürich mit dem „In Situ Fabricator“ vorgestellt. Dieser Roboter bewegt sich auf Laufketten fort und kann sich autonom auf der Baustelle bewegen, sein Orientierungssystem ist wirklich bemerkenswert. Er kann auf Toleranzen im Arbeitsprozess reagieren und sich selbstständig neu ausrichten. Allerdings ist der „In Situ Fabricator“ kein reiner Mauerwerksroboter. Er ist flexibel einsetzbar, kann Mauern erstellen oder auch Bewehrungen schweißen.
Redaktion: Wienerberger hat ein Partnerschaftsabkommen mit Fastbrick Robotics Limited (FBR), einem in Australien gelisteten Unternehmen, gezeichnet, das sich auf die Entwicklung von Baurobotern für Ziegelmauerwerk spezialisiert hat. Die Zusammenarbeit bezieht sich auf den „HadrianX“. Wie kann man sich dessen Einsatz auf der Baustelle vorstellen?
Eric Brehm: Bei dem „HadrianX“ handelt es sich um einen Roboter, der lagenweise Steine setzen und damit ganze Gebäude erstellen kann. Er arbeitet von außerhalb des Gebäudes und sieht aus wie ein Lkw mit einem großen Ausleger. Die Steine werden auf Paletten eingelegt und mit dem auskragenden Greifarm auf die Baustelle befördert. Ein Stabilierungselement gleicht Toleranzen, Vibrationen und Windeinflüsse aus. In Australien wurde der „HadrianX“ bereits erprobt: Der Roboter hat hier den Rohbau für einen eingeschossigen Bungalow errichtet. Die Wände wurden aus Betonsteinen erstellt und die Steinlagen mit einem dünnen Kleberauftrag fixiert. Der „HadrianX“ ist sehr vielversprechend, allerdings muss man abwarten, ob er auch unter deutschen Randbedingungen, insbesondere hinsichtlich der Baustellenorganisation, funktioniert.
Und dann gibt es noch den Seilroboter, der am Lehrstuhl für Mechatronik der Universität Duisburg-Essen entwickelt worden ist. Die Kalksand-steinindustrie setzt auf diesen Robotertypus und hat aktuell zusammen mit vier anderen Partnern ein gemeinsames Forschungs- und Entwicklungsprojekt dazu aufgelegt. Der Seilroboter hat eine sehr flexible und elegante Technik, die auf der Baustelle die Hebeprozesse erleichtern wird. Dafür wird eine Seilkonstruktion über vier Pylonen gespannt, die um das Baufeld aufgestellt werden. Der eigentliche Roboter schwebt dann an den Stahlseilen über der Baustelle, ähnlich wie eine Stadionkamera. Er kann sich dreidimensional hin und her bewegen und damit Steine greifen, versetzen und platzieren. Erste Probeläufe und Machbarkeitsstudien sind bereits erfolgt. Probleme gibt es auch hier mit der Baustellenorganisation, vor allem mit dem Arbeitsschutz, denn der Roboter muss stillstehen, sobald sich irgendetwas oder irgendjemand auf der Baustelle bewegt. Das stellt für eine Baustelle mit vielen parallel arbeitenden Gewerken eine große Herausforderung dar. Dem könnte man organisatorisch mit einer Zonierung der Baustelle begegnen. Der große Vorteil vom Seilroboter liegt darin, dass er äußerst weitreichend arbeiten kann und selbst unglaublich wenig Platz benötigt.
Redaktion: Stichwort Baustellenorganisation: In Deutschland haben wir es häufig mit sehr kleinteiligen Baustellen zu tun. Eine Vielzahl der Baustellen sind außerdem Bestandsbaustellen oder Baustellen mit Schnittstellen zum Bestand oder in einer Bestandsumgebung. Was bedeutet das für den Einsatz von Robotern auf der Baustelle?
Eric Brehm: Der „HadrianX“ und auch der Seilroboter sind eigentlich für den Neubau gemacht. Man kann sie nicht in ein Bestandsgebäude fahren und dort Teilbereiche aufmauern. Ein Roboter, der auch im Bestand funktioniert, müsste viel kleiner sein, er müsste auch durch Innentüren passen, idealerweise sogar in einen Aufzug. Er sollte nicht zu schwer sein und auch durch ein Fenster in den zweiten oder dritten Stock gehoben werden können. Abgesehen von Bestandsgebäuden ist der deutsche Mauerwerksbau, zumal im Wohnungsbau, kleinteiliger und individualisierter als im angelsächsischen Bereich, wo häufig ganze Baufelder von einem Developer bebaut werden. Was die deutschen Randbedingungen angeht, müssen sich Industrie und Forschung also noch einiges einfallen lassen. Den Einsatz von Robotern im Bestand kann ich mir nur in größeren Bauvorhaben vorstellen, zum Beispiel bei der Entkernung von ganzen Gebäudekomplexen, die in großem Maße umgebaut werden. In der üblichen Größenordnung im Sanierungsbereich ist derzeit kein Robotereinsatz realistisch.
Eine weitere große Herausforderung bei der Baustellenorganisation für den Roboter ist die Vorkonfektionierung der Steine. Das heißt, der Prozess vom Herstellwerk über den Transport bis zur Baustelle muss durchgängig digitalisiert und konsistent sein. In Bezug auf das reine Versetzen des Steins, also die Lieferung auf die Baustelle und das Versetzen an die richtige Stelle, ist die Entwicklung schon sehr weit. Aber die Gestaltung einer durchgängigen Prozesskette ohne Brüche von der Herstellung auf die Baustelle – da ist auf der Softwareseite noch einiges zu tun. Es gibt zwar schon Baukastensysteme, die die Lieferung der Steine systematisiert haben, aber das Problem sind die vielen individualisierten Baustellen. Die stehen dem Einsatz von Robotern ziemlich im Weg. Der Einsatz von Robotern wird sich daher erst einmal auf durchkonfektionierte Haustypen oder Varianten für Bauträger fokussieren.
Redaktion: Mauerwerksroboter dürften ja in der Anschaffung ziemlich teuer werden. Müssen sich Bauunternehmen für den Einsatz von Robotern völlig neu aufstellen? Und wie sieht das für kleinere Bauunternehmungen aus: Können die da noch mithalten?
Eric Brehm: Zurzeit lohnt sich der wirtschaftliche Einsatz von Mauerwerksrobotern noch nicht, das wird sich jedoch mit ihrer Markteinführung ändern. Ich schätze, damit ist in den nächsten zehn Jahren zu rechnen. Einhergehen wird damit auch eine deutliche Umwälzung in der Bauwirtschaft. Ich denke, dass sich dann neue Geschäftsmodelle etablieren: die Vermietung von Robotern beispielsweise oder ein Wiedereinstieg der Hersteller in das Baugeschäft, indem sie zum Beispiel die Roboter und die vorkonfektionierten Steine mitliefern. Die kleineren Bauunternehmen werden sich spezialisieren müssen, auf Bestandsbauten oder auf andere Spezialaufgaben. Denn diese wird es auch später noch geben und sie werden auch dann nur von gut ausgebildeten Handwerkern ausgeführt werden können.
Redaktion: Wie kann oder muss eine Baustelle 4.0 aussehen, in der ein Robotereinsatz sinnvoll sein kann und sich wirtschaftlich abbilden lässt? Müssen dafür nicht einerseits die Planung, wie beim Building Information Modeling, und andererseits der Bauprozess völlig neu gedacht werden? Muss die Industrie vielleicht auch über neue Bauprodukte nachdenken?
Eric Brehm: Das ist richtig. Die gesamte Planung muss so aufgestellt werden, dass der Roboter auf der Baustelle auch wirklich eingesetzt werden kann: Das betrifft neben der Planung bis zur Vorkonfektionierung der Steinlieferungen eben auch die Arbeitsvorbereitung und den gesamten Bauprozess: Das fängt bei den Anfahrtswegen an und geht bis zur Baustelleneinrichtung und dem Weg des Roboters auf der Baustelle. Die Baustellenorganisation wird sich komplett verändern. Vielleicht bestellt man in Zukunft auch stückweise ganze Wände statt Steine auf Paletten. Was dann natürlich auch wieder andere Herausforderungen mit sich bringen wird, denken wir an Abdichtungen oder Anschlussdetails. Wir in Deutschland haben einen sehr hohen Baustandard. Mauerwerk ist bei uns, was den Baustoff angeht, absolut Hightech. Ich kenne keinen anderen Baustoff, der so viele Anforderungen in einem Bauteil erfüllen kann: Schallschutz und Wärmeschutz und Brandschutz und Tragfähigkeit etc. Da ist noch viel zu leisten, bis wir den Roboter finden, der diesen Standard auch wirklich erzeugen kann.
Auch die Veränderungen in der Berufsstruktur werden spürbar sein. Es wird völlig neue Berufe geben, mit ganz anderen Aufgaben. Den Maurerberuf, den wir heute kennen, wird es zwar auch in Zukunft weitergeben, aber eher für die schon erwähnten spezialisierten Bereiche. Die Anforderungen werden sich deutlich verändern, um mit der Digitalisierung des Bauprozesses Schritt halten zu können. Aber die Möglichkeit, auch auf der Baustelle mit digitalisierter Technik zu arbeiten, wird für die kommende Generation ein neues Attraktivitätsmerkmal darstellen und könnte so die Begeisterung für das Berufsfeld Mauerwerksbau ins-gesamt wieder wecken.
Redaktion: Herr Prof. Brehm, vielen Dank für das Gespräch.