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Künstliche Intelligenz in der Osteoporose-Diagnostik

Im Alter erleben viele Menschen einen Abbau der Knochensubstanz. Osteoporose, der Prozess hinter diesem Abbau, bleibt häufig unbemerkt, auch wenn es zu Brüchen in den Wirbelkörpern kommt. Röntgenuntersuchungen oder Computertomografie (CT) könnten Wirbelfrakturen nachweisen, jedoch geschieht dies nicht immer. Manchmal werden CTs aus anderen Gründen durchgeführt und Wirbelbrüche in der Klinik übersehen.

Um die Diagnostik von Osteoporose zu verbessern, haben Forschende um Professor Claus-Christian Glüer von der Sektion Biomedizinische Bildgebung der Klinik für Radiologie und Neuroradiologie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH), Campus Kiel, und des Molecular Imaging North Competence Center (MOIN CC) eine Software entwickelt. Das Programm nutzt künstliche Intelligenz (KI) und kann automatisch in Computertomographien, die aus verschiedenen Gründen aufgenommen werden, Hinweise auf Osteoporose und prognostisch ungünstige Wirbelbrüche erkennen.

Die aktuellen Ergebnisse wurden von Eren Yilmaz, einem Doktoranden der Arbeitsgruppe, bei der Konferenz “SPIE Medical Imaging” in San Diego, Kalifornien, vorgestellt und im Tagungsband Proceedings of SPIE (Society of Photo-Optical Instrumentation Engineers, SPIE) veröffentlicht. Die Arbeiten wurden im Rahmen des Forschungsschwerpunkts Kiel Life Science (KLS) der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) durch die Projekte ARTEMIS vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und KI-RAD vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gefördert.

KI erkennt 9 von 10 Wirbelbrüchen in CT-Bildern

Häufig werden CT-Bilder des Brustkorbs aufgenommen, um beispielsweise die Lunge zu untersuchen. Obwohl die Wirbelsäule auf dem Bild sichtbar ist, wird sie möglicherweise nicht überprüft, da ein anderes Problem im Vordergrund steht. Das Programm, das von Erstautor Yilmaz vorgestellt wurde, kann bei solchen Untersuchungen im Hintergrund laufen und die Wirbelsäule automatisch untersuchen, um auf Frakturen der Wirbelkörper hinzuweisen, die sonst möglicherweise nicht entdeckt worden wären. Das ist von Bedeutung, da das Vorhandensein von Wirbelfrakturen das Risiko weiterer Brüche erheblich erhöht.

Die Software verwendet neuronale Netze, Algorithmen, die der Funktionsweise des menschlichen Gehirns nachempfunden sind und häufig eingesetzt werden, um Muster zu erkennen. Die KI wurde an 159 CT-Bildern der Wirbelsäule getestet, die aus sieben Krankenhäusern in Deutschland stammten. Erfahrene Radiologen hatten zuvor die Bilder begutachtet und 170 Frakturen entdeckt. Laut Yilmaz klassifizierte das neuronale Netz 90 Prozent der Fälle mit Frakturen korrekt sowie 87 Prozent der Wirbel ohne Frakturen.

Das Programm kann nicht nur Brüche erkennen, sondern auch zwischen milden Frakturen (Grad 1) und schwereren (Grad 2 oder höher) unterscheiden. Laut Yilmaz ist diese Diagnostik entscheidend für die Abschätzung des zukünftigen Frakturrisikos. Dies gilt insbesondere für Hüftfrakturen, die im Alter oft zu einer erheblichen Einschränkung der Lebensqualität und erhöhter Sterblichkeit führen. Es wird also ein Frühwarnsystem zur Prävention schwerwiegender Folgen von Osteoporose entwickelt. Die Technik ist für den allgemeinen Einsatz in der Klinik noch nicht verfügbar, soll jedoch in absehbarer Zeit zumindest für Forschungszwecke eingesetzt werden können.

Das interdisziplinäre Zentrum für angewandte Lebenswissenschaften, Kiel Life Science (KLS), verbindet an der CAU Forschungsarbeiten aus Agrar- und Ernährungswissenschaften, Naturwissenschaften und Medizin. Es ist einer von vier Forschungsschwerpunkten an der Universität Kiel und zielt darauf ab, zelluläre und molekulare Prozesse besser zu verstehen, mit denen Organismen auf Umwelteinflüsse reagieren. Im Fokus der Forschung stehen Themen wie die Anpassung landwirtschaftlicher Nutzpflanzen an spezielle Wachstumsbedingungen oder die Entstehung von Krankheiten durch die Interaktion von Genen, individuellem Lebensstil und Umweltfaktoren. Gesundheit wird stets im Kontext der Evolution ganzheitlich betrachtet. Aktuell sind etwa 80 Wissenschaftler aus 40 Instituten und sechs Fakultäten der CAU als Vollmitglieder im Forschungsschwerpunkt versammelt.

In der Promotion von Informatiker Eren Yilmaz geht es um die Entwicklung von Methoden der Künstlichen Intelligenz für die Bilderkennung. Bildquelle: privat
In der Promotion von Informatiker Eren Yilmaz geht es um die Entwicklung von Methoden der Künstlichen Intelligenz für die Bilderkennung. Bildquelle: privat

Originalarbeit:
Eren B. Yilmaz, Tobias Fricke, Julian Laue, Constanze Polzer, Sam Sedaghat, Jan-Bernd Hövener, Claus-Christian Glüer, Carsten Meyer, “Towards fracture risk assessment by deep-learning-based classification of prevalent vertebral fractures,” Proc. SPIE 12465, Medical Imaging 2023: Computer-Aided Diagnosis, 124651D (7 April 2023); doi.org/10.1117/12.2653526