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KMU und Data Analytics: Kleine Datenmengen ganz groß

Datenanalysen: (Noch) zu wenige kleine und mittlere Unternehmen (KMU) haben ihren Wert für sich erkannt, (noch) zu viele scheuen aus Know-how und Ressourcenmangel vor ihnen zurück. Dabei können gerade auch KMU von Datenanalyseprojekten profitieren und ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern. Und oft reicht nur ein „kleiner Schubs“, um die Tür zur Welt der Daten aufzustoßen.

Große Unternehmen, große Datenmengen, kleine Unternehmen, kleine Datenmengen? Diese gängige Einschätzung führt bei vielen KMU schnell zu dem Irrglauben, dass sie nicht über ausreichend Daten verfügen, um Datenanalyseprojekte erfolgreich umzusetzen. Dabei kommt es trotz des allseits gegenwärtigen Buzzwords Big Data und den damit einhergehenden Suggestionen gar nicht unbedingt auf die Menge der Daten an – vielfach sind es eher die Qualität und die Varianz der Daten, die Potential in sich bergen. Sprich, lassen sich in weniger großen Datenmengen Muster oder Verbindungen erkennen, können auch sie „ihren“ KMU wertvolle Erkenntnisse für Prozessoptimierungen liefern. Smart-Data-Analysen beschäftigen sich aus diesem Grund nicht nur mit den mittels IT erfassten Datenmengen, sondern sie führen diese insbesondere auch mit weiteren Informationen zusammen. Beispielhaft seien hier die Erfahrungswerte von Technikern oder die Materialbeschaffenheit genannt.  

Hilfestellung à la carte

Das Problem für KMU: Sie verfügen inhouse nur selten über Experten, die einschätzen können, ob, wann und wie sich Big-/Smart-Data-Technologien für sie lohnen; und zu wenige von ihnen kommen auf externe Hilfsangebote zurück, um diese Erkenntnisse für sich zu gewinnen. Dabei stehen in den einzelnen Bundesländern inzwischen zahlreiche Initiativen, Förderprogramme und Kompetenzzentren parat, um die notwendige Hilfestellung zu geben.

In Baden-Württemberg ist dies beispielsweise das Smart Data Solution Center Baden-Württemberg (SDSC-BW). 2014 von der Sicos BW GmbH und dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) gestartet, berät es KMU neutral und unabhängig rund um Smart-Data-Technologien; mit finanzieller Unterstützung durch das Landesministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst (MWK). Besonders interessant: Das SDSC-BW bietet für KMU eine Potentialanalyse, die ihnen einen ersten Einblick in die Welt der Datenanalyse verschafft. Denn sie lernen im Kontext ihrer eigenen Daten erste Smart-Data-Technologien kennen und einzuschätzen, wie sie sich auch in ihrem Unternehmensumfeld einsetzen lassen. Und das völlig branchenunabhängig, wie die bereits zahlreich durch das SDSC-BW durchgeführten Potentialanalysen beweisen. Drei Beispiele an dieser Stelle (weitere hier):

Beispiel 1: Erfolgreiche Multilabel-Produktklassifizierung

In modernen E-Commerce-Systemen fällt eine Vielzahl von Daten an; insbesondere, wenn Warenhäuser ihre großen Lager füllen und Produkte aus Lieferantenlisten in das hauseigene Produktinformationssystem integriert werden sollen. Auf dem Weg von der Lieferantenliste in das Product Information Management (PIM-)System werden Daten teilautomatisiert verarbeitet. Für die Price Intelligence GmbH, einen Anbieter für Marktüberwachungssoftware (mit Schwerpunkt auf der Optimierung von E-Commerce-Daten für Händler und Hersteller), untersuchte das SDSC-BW im Rahmen einer Potentialanalyse, wie der Prozess der Kategorisierung von Produkten in hierarchische Taxonomien innerhalb von PIM-Systemen vollautomatisiert werden könnte – und das auf Basis der Beschreibung nebst Produkttiteln. Als Datengrundlage stellte Price Intelligence eine komplette PIM-Struktur sowie eine breite Masse an Lieferantenlisten zur Verfügung. Durch die enge Zusammenarbeit der Experten und des Entwicklerteams und die damit verbundene Kopplung des Know-hows konnte die Price Intelligence GmbH zeitnah einen erfolgreichen und soliden Prozess für die automatische Produktklassifizierung implementieren.

Auch KMU profitieren von Datenanalyseprojekten. Bildquelle: KIT
Auch KMU profitieren von Datenanalyseprojekten. Bildquelle: KIT

Beispiel 2: Bessere Verkaufsvorhersagen

So unbeständig das Wetter auch ist, für Getränkehersteller ist es maßgeblich: Insbesondere sehr warmes Wetter schlägt sich entscheidend im Trink- und Kaufverhalten der Konsumenten nieder. Um mögliche Engpässe an heißen Tagen zu verhindern, müssen die Hersteller deshalb die Wetterlage in ihre Produktionsplanung mit einbeziehen. Denn gleichzeitig gilt es, Überproduktionen mit entsprechenden Lagerhaltungskosten bei geringerer Nachfrage zu vermeiden. Bei der Schätzung der Produktionsmengen vertraute die Ensinger Mineral-Heilquellen GmbH, ein im baden-württembergischen Ensingen ansässiges Unternehmen für die Produktion und den Vertrieb von natürlichem Mineralwasser, bislang auf die Erfahrungswerte aus den Vorjahreszeiträumen. Durch eine Potentialanalyse mit dem SDSC-BW erfuhr das Unternehmen, dass bereits ein relativ aufwandsarmer Ansatz die Verlässlichkeit der Absatzvorhersagen substantiell (circa 37 Prozent) verbessern kann. Eine Integration dieses ersten Schrittes in die Produktionsplanung erscheint vergleichsweise einfach. Durch die Quantifizierung zusätzlicher, den Domänenexperten teilweise bereits bekannter Einflüsse ist es darüber hinaus möglich, die Varianz weiter zu verringern.

Beispiel 3: Dynamische Maschinenplanung

Während der Produktion beim Automobilzulieferer Erdrich Umformtechnik GmbH fallen zu unterschiedlichsten Zeitpunkten verschiedene Daten an. Diese stammen zum Beispiel von der genutzten Maschine, deren Bestückung oder von der Herkunft einer Komponente (Hersteller, Charge). Für eine Potentialanalyse des SDSC-BW stellte das Unternehmen die Daten der gesamten Produktionsprozesse (alle während und nach der Produktion anfallenden Daten aus MES und ERP) über einen Zeitraum von 1,5 Jahren am Thüringer Produktionsstandort bereit. Das Projektteam konnte neben wichtigen Einflussgrößen, die häufig zur Verzögerung bei der Produktion führen (bestimmte Arbeitsplätze und Produkte), verschiedene Verarbeitungsketten identifizieren, mit denen die zeitliche Abschätzung der Produktion bei Erdrich verbessert werden kann. Dabei evaluierte es eine Reihe leistungsfähiger und moderner Algorithmen (u.a. Lasso Regression, XGBoost Regression Trees) sowie spannende Vorverarbeitungsschritte (z.B. Merkmalsbildung über historische Daten, um z.B. die Abnutzung von Maschinen abzubilden).

Forschungspartner tüfteln gern

Beispielsweise im Anschluss an eine derartige Potentialanalyse, aber auch generell gilt: KMU können auch von einer Kooperation mit Forschungspartnern enorm profitieren. Denn Forschungseinrichtungen haben von Haus aus ein hohes Interesse an spannenden Projekten und neuen Herausforderungen – und stehen deshalb gerne auch einmal als „Sparringspartner“ für KMU bereit. So bietet aktuell das vom BMBF geförderte Smart Data Innovation Lab (SDIL) am KIT innerhalb sogenannter Mikroprojekte noch bis zum Jahresende kostenfrei Infrastruktur wie High Performance Computing oder Software nebst Support, Kontaktvermittlung zu Fachexperten oder Hilfestellung bei standardisierten Vorgehensweisen für die Datenpflege. Diese stehen nicht nur Unternehmen aus Baden-Württemberg offen, sondern aus ganz Deutschland. Alle Informationen zur Projektbeantragung am SDIL finden interessierte Unternehmen unter  www.sdil.de/de/bewerben.

Interne Expertise aufbauen

Auch wenn externe Unterstützung viele Türen öffnen kann, gilt: Wollen sich KMU zukunftssicher aufstellen, sollten sie bestenfalls auch Expertise im eigenen Unternehmen auf- und ausbauen. Insbesondere spezielle Weiterbildungsprogramme für KMU ebnen hier den Weg. So stärken beispielsweise neun Hochschulen aus Baden-Württemberg mit dem Projekt „Data Literacy und Data Science für den Mittelstand: Weiterbildung und Qualifizierung“ (www.dataakademie.de) die Kompetenzen kleiner und mittlerer Unternehmen bei der Erfassung und Auswertung massiver Datenmengen. Im Rahmen des Projekts gibt es zahlreiche, praxisbezogene Schulungs- und Qualifizierungsangebote in unterschiedlichen Formaten; und viele der Workshops sind kostenlos.

Woher das Know-how letztlich auch stammt – von externen Unterstützern oder internen Experten – KMU können erfolgreiche Datenanalysen betreiben, Digitalisierungsprojekte umsetzen und ihre Wettbewerbsfähigkeit damit nachhaltig verbessern. Sie müssen sich nur trauen!


Dr. Andreas Wierse, Geschäftsführer Sicos BW GmbH

Autor: Dr. Andreas Wierse, Geschäftsführer der Sicos BW GmbH, hat ein umfangreiches Know-how im Bereich Simulation und Höchstleistungssysteme sowie Big und Smart Data und langjährige Erfahrung in der Beratung von Großunternehmen und KMU.