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Interview mit Roberto Bertollini über die antimikrobielle Wirkung von Kupfer

In Pandemiezeiten werden wir uns plötzlich der Gefahr bewusst, die von der Verbreitung von Krankheitserregern ausgeht und zu schweren Erkrankungen und vielen Todesfällen führen kann. Obwohl die Aufmerksamkeit derzeit hauptsächlich auf den Erreger SARS-COV-2 gerichtet ist, wurde nun eine Expertengruppe gebildet, die Empfehlungen ausarbeitet, um Politik und Entscheidungsträger auf eine nächste Pandemie vorzubereiten, vor Gefahren zu warnen und Lösungsansätze auszuarbeiten. Die Expertengruppe fokussiert sich auf Materialien für Oberflächen in stark frequentierten Bereichen des öffentlichen Lebens, um dort mögliche Übertragungen zu verringern. Im Mittelpunkt steht dabei Kupfer, das wegen seiner antimikrobiellen Wirkung in den Blick der Experten gerückt ist und in einer Reihe von Studien vielversprechende Ergebnisse gezeigt hat.

Wir hatten die Gelegenheit Dr. Roberto Bertollini zu interviewen, einen internationalen Experte für öffentliche Gesundheit und Vorsitzenden dieser multidisziplinäre Expertengruppe: dem Copper-Action Hub.

INTERVIEW

Redaktion: Kupfer werden antimikrobielle Eigenschaften nachgesagt, was den Werkstoff besonders vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie aber auch darüber hinaus interessant macht. Welche wissenschaftlichen Befunde und Arbeiten belegen die antimikrobiellen Eigenschaften von Kupfer?

Roberto Bertollini: Der Ausbruch der Covid-19-Pandemie hat die Notwendigkeit wirksamer Infektionsprävention auf verschiedenen Ebenen verstärkt. Auch wenn der Hauptinfektionsweg Atemtröpfchen sind, besteht die Gefahr einer Ansteckung durch Kontakt mit kontaminierten Oberflächen und Gegenständen, die nachweislich mit der Übertragung bestimmter Krankheitserreger verbunden sind, beispielsweise Infektionen und Antibiotikaresistenzen.

Kupfer wurde 2008 von der US-Umweltschutzbehörde EPA als erstes metallisches antimikrobielles Mittel anerkannt, das 99,9% der pathogenen Bakterien innerhalb von 2 Stunden neutralisiert. Auch in Europa hat der französische Haut Conseil de la Santé Publique (HCSP) 2015 die Studien zur antimikrobielle Eigenschaft von Kupfer bestätigt.

Wenngleich der Zusammenhang zwischen Kupfer und der Verringerung von Infektionen noch wissenschaftlich hergestellt werden muss, zeigen einige Studien bereits, dass mehr Spuren des COVID-19-Virus auf Kunststoff und Edelstahl als auf Kupfer zu finden sind. Auf Kunststoff oder Edelstahl wurde das Virus bis zu 72 Stunden nach der Applikation nachgewiesen, während auf Kupfer nach 4 Stunden kein lebensfähiges COVID-19-Virus gemessen wurde. Das ist sehr interessant und sollte unbedingt weiter untersucht werden, um herauszufinden, ob Kupfer als Ergänzung zu Desinfektions-, Hygiene- und Verhaltenspraktiken verwendet werden könnte und sollte, um die Virus- und Bakterienbelastung auf Oberflächen zu reduzieren.

Redaktion: Wie kam es zu der Entdeckung der antimikrobielle Wirkung von Kupfer?

Roberto Bertollini: Das ist eine interessante Frage, bei der ich gern in die Geschichte zurückblicke, um zu erkennen, wie weit wir gekommen sind. Antike Zivilisationen nutzten die antimikrobiellen Eigenschaften von Kupfer, lange bevor Louis Pasteurs Entdeckung von Bakterien und bevor sein Konzept von Mikroben als Erreger von Infektionskrankheiten im 19. Jahrhundert allgemein bekannt wurde. Kupfer war bereits bei den alten Ägyptern dafür bekannt, Infektionen zu minimieren. Sogar die Bibel erwähnt, dass in Kupfer- und Bronzegefäßen gespeichertes Wasser frei von Krankheitserregern gewesen sei. Die alte hinduistische Tradition der ayurvedischen Medizin, die über 3.000 Jahre zurückreicht, empfiehlt das Sammeln und Aufbewahren von Haushaltswasser in Kupfergefäßen, um die Gesundheit zu verbessern. Diese Tradition steht im Einklang mit neueren Studien, die darauf hindeuten, dass die Lagerung von kontaminiertem Wasser über Nacht in Kupfergefäßen bakterielle Verunreinigungen entfernen und das Wasser zum Trinken sicher macht.

Redaktion: Forschen auch deutsche Universitäten in diesem Bereich? Gibt es einen internationalen oder europäischen Austausch?

Roberto Bertollini: Tatsächlich ist das der Fall. Eine Kollegin von mir und ebenfalls Mitglied des Copper-Action Hub, Dr. Susanne Huggett vom Asklepios Klinikum Harburg, hat mit ihren Kollegen eine Krankenhausstudie zum Überleben von Bakterien auf Kupferoberflächen veröffentlicht. Das Krankenhaus stattete 2014 mehrere Bereiche seines Gebäudes mit 600 massiven Kupfertürgriffen aus. Die getesteten Legierungen verringerten die Zahl der koloniebildenden Einheiten auf metallischen kupferhaltigen Oberflächen im Vergleich zu Kontrolloberflächen aus Aluminium oder Kunststoff um ein Drittel. Außerdem verzögerte sich nach der Desinfektion die Wiederbesiedelung der Oberflächen auf Kupferlegierungen. Diese Studie schließt eine Lücke zwischen der Grundlagenforschung zur zellulären Kupferhomöostase und der Anwendung in der Praxis. Es zeigt, dass die Verwendung von kupferhaltigen Legierungen die Ausbreitung mehrerer arzneimittelresistenter Bakterien in Krankenhäusern eingrenzen kann. Durch den Copper Action Hub soll genau dieser Wissensaustausch zwischen internationalen und europäischen Akteuren gefördert werden.

Redaktion: Bestehen weitere Erfahrungen beim Einsatz von Kupfer auf Oberflächen, beispielsweise im Gesundheitswesen?

Roberto Bertollini: Die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH) schätzt, dass 2015 in deutschen Krankenhäusern eine Million Gesundheitssystem-assoziierte Infektionen, sogenannte HAI aufgetreten und mindestens 30.000 Menschen an einer solchen Infektion gestorben sind. Mindestens 20 Prozent der Gesundheitssystem-assoziierte Infektionen gelten als vermeidbar: durch bessere Infektionsprävention und -kontrolle . Daher frage ich mich oft, was können wir tun, um diese Zahlen zu senken? Praxisstudien in Krankenhäusern haben eine reduzierte Gesamtkeimzahl und ein geringeres Auftreten von Krankheitserregern in Zusammenhang mit Kupferoberflächen gezeigt, beispielsweise bei multiresistenten Erregern wie VRE oder MRSA. Die antimikrobielle Wirkung von Kupferoberflächen scheint sich in einer reduzierten Prävalenz von HAIs in Patientenzimmern mit kupferhaltigen Oberflächen oder kupferhaltiger Bettwäsche niederzuschlagen. Das heißt Patienten scheinen weniger Erregern ausgesetzt zu sein, wenngleich weitere Studien erforderlich sind, um diesen sehr wichtigen Befund zu bestätigen. Ich hoffe, dass wir zusammen mit dem Copper-Action Hub mehr Forschung in diesem Bereich fördern und herausfinden können, ob der Einsatz von Kupfer im Gesundheitswesen HAIs effektiv reduzieren kann.

Redaktion: Gibt es weitere Beispiele für Anwendungen von Kupfer an stark frequentierten Orten, an denen sich Viren und andere Krankheitserreger leicht ausbreiten könnten?

Roberto Bertollini: Die jüngste Anwendung von antimikrobiellem Kupfer in öffentlich frequentierten Bereichen wurde in Mailand und Kanada erprobt. Im Mailänder Flughafen Linate wurde Kupfer auf Oberflächen mit hohem Kontakt wie Treppengeländer, Gepäckwagengriffe und Handstützen in Bussen aufgetragen. Das Pilotprojekt wurde im Juni 2021 gestartet und die Ergebnisse werden im Laufe des Jahres 2021 veröffentlicht.
In Kanada hat das Busverkehrsunternehmen TransLink Kupfer in zwei Bussen und zwei Waggons getestet. Studienergebnisse vom Mai 2021 mit Stichproben in Verkehrsmitteln sowie im Labor zeigen, dass ausgewählte Kupferprodukte langlebig sind und bis zu 99,9 Prozent aller Bakterien innerhalb einer Stunde nach dem Kontakt mit Oberflächen neutralisieren. Das Pilotprojekt tritt nun in Phase zwei ein, um die Stichprobengröße zu erhöhen und zu testen, wie lange die antimikrobiellen Eigenschaften von Kupfer in Abhängigkeit von Zeit, Wetterbedingungen und Verwendung verschiedener Reinigungsmittel Bestand haben.

Redaktion: Erst kürzlich haben Experten aus verschiedenen europäischen Ländern und mit unterschiedlichem Hintergrund den Copper-Action Hub gegründet. Was sind seine Ziele?

Roberto Bertollini: Ich habe den Copper-Action Hub jetzt schon einige Male erwähnt. Es wurde als wissenschaftlich anerkanntes Gremium gegründet, das seine fundierte und multidisziplinäre Erfahrung einbringt, um den effizientesten Einsatz von antimikrobiellem Kupfer im öffentlichen Sektor und auf der Grundlage vorliegender wissenschaftlicher Erkenntnisse zu untersuchen und umzusetzen. Ich fühle mich geehrt, gebeten worden zu sein, den Lenkungsausschuss zu leiten. Ich freue mich darauf, mit den Experten verschiedener Bereiche an möglichen Lösungen zu arbeiten. Aufgabe des Copper-Action Hubs ist es, basierend auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, Leitlinien und Empfehlungen für den Einsatz von antimikrobiellem Kupfer in stark frequentierten Bereichen des öffentlichen Lebens zu erstellen, etwa im Gesundheitswesen und im öffentlichen Personenverkehr. Aufgrund der unterschiedlichen Forschungsschwerpunkte und vielfältigen Perspektiven der Hub-Mitglieder glaube ich, dass wir Strategien für den optimalen Einsatz von Kupfer als Begleitinstrument im Infektionsschutz identifizieren können.


Zur Person

Dr. Roberto Bertollini, M.D., M.P.H., ist ein international anerkannter Experte für öffentliche Gesundheit. Er ist Gastprofessor für öffentliche Gesundheit und Umweltgesundheit an der Universität Lissabon. Von Oktober 2011 bis Juni 2016 war Dr. Bertollini WHO-Repräsentant bei der EU in Brüssel und leitender Wissenschaftler des WHO-Regionalbüros für Europa. Zuvor bekleidete er, seitdem er 1991 der WHO beitrat, verschiedene leitende Positionen in der Organisation sowohl im WHO Regionalbüro für Europa als auch am Hauptsitz in Genf.