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Fehlender Wohnraum als gesellschaftlicher Sprengstoff

Die Deutsche Gesellschaft für Mauerwerks- und Wohnungsbau e.V. (DGfM) vertritt die Interessen der Mauersteinindustrie gegenüber Politik und Gesellschaft. Der Vorsitzende Dr. Hannes Zapf und der Geschäftsführer Dr. Ronald Rast erläutern, warum die Bundesregierung pro Jahr mindestens 80.000 Sozialwohnungen pro Jahr bauen muss, warum Technologieoffenheit bei der Erreichung der CO2-Ziele im Wohnungsbau wichtig ist und welche Hausaufgaben die Mauerwerksbranche selbst lösen muss.

Redaktion: Die DGfM gehört zu den Unterstützern des Bündnisses „Soziales Wohnen“. Die Forderung nach einer massiven Ausweitung des sozialen Wohnungsbaus hat für Aufsehen gesorgt. Was war der Auslöser für Ihren Appell?

Dr. Hannes Zapf: Das immer größer werdende Defizit an bezahlbarem Wohnraum, vorrangig in Groß- und Universitätsstädten. Ein Mangel, der sich quasi täglich beschleunigt, weil viel zu wenig gebaut wird. Parallel dazu verlieren wir jährlich zehntausende Wohnungen, die aus der Sozialbindung fallen. Gab es vor 1990 noch über 4 Millionen Sozialwohnungen allein in der alten Bundesrepublik, werden es nach Prognose des Pestel Instituts Ende 2019 nur noch weniger 1,18 Millionen in ganz Deutschland sein. Hier müssen wir schnell eine Trendumkehr schaffen. Denn das Thema hat genügend Sprengkraft, um unsere Gesellschaft sozial zu spalten!

Redaktion: Mit der Caritas, dem Mieterschutzbund, der IG BAU und Ihnen haben sich im Bündnis „Soziales Wohnen“ Partner zusammengeschlossen, die nicht gerade als natürliche Verbündete gelten?

Dr. Hannes Zapf: Uns eint die Sorge, dass die Politik, und damit meine ich explizit die Bundes- und Landesregierungen, die Zeichen der Zeit nicht erkannt haben. Von den 1,5 Millionen Neubauten, die die Bundesregierung als Ziel für diese Legislaturperiode ausgegeben hat, ist schon lange keine Rede mehr. Und auf Landesebene haben im letzten Jahr lediglich Bayern, Hamburg und Schleswig-Holstein die wohnungsbaupolitischen Ziele erreicht.

Dr. Ronald Rast: Ärgerlich ist, dass wir es offensichtlich nicht mit einem Erkenntnisproblem zu tun haben. Die Wichtigkeit ist politisch längst erkannt, aber in der Umsetzung gibt es große Defizite. Mittel des Bundes versickern in den Landeshaushalten, statt sie zweckgebunden zum Bau neuer Wohnungen einzusetzen. Bei unserem Branchengipfel, dem jährlichen Wohnungsbautag des Verbändebündnisses Wohnungsbau, dem wir als DGfM seit 2009 angehören, betonen Minister, Staatssekretäre und Fachpolitiker aller Parteien immer wieder die Bedeutung des bezahlbaren Wohnens. Auf dem letzten Wohnungsbautag im Mai 2019 mussten wir im Ergebnis vorliegender Studienergebnisse aber feststellen, dass in Deutschland nach wie vor zu wenig, zu teuer und zu weit entfernt von den Wachstumsregionen gebaut wird. Das Verbändebündnis Sozialer Wohnungsbau hat jetzt quantitativ und qualitativ ganz konkret festgestellt, wieviel Wohnungen zu wenig und zu teuer gebaut werden. Außerdem müssen wir konstatieren, dass von den Empfehlungen des „Bündnisses für bezahlbares Wohnen“, das die damalige Bundesbauministerin Barbara Hendricks im Sommer 2014 ins Leben gerufen hatte, bis heute kein einziger Punkt bedarfsgerecht umgesetzt wurde. Das ist schon enttäuschend. Aber unsere Bündnispartner und wir als DGfM werden nicht nachlassen, zu mahnen und zu fordern.

Redaktion: Was muss politisch aus Ihrer Sicht jetzt geschehen?

Dr. Hannes Zapf: Neben der massiven Investition in den Sozialwohnungsbau, die erfolgen muss, ist für die gesamte Bauwirtschaft vor allem Verlässlichkeit wichtig. Egal ob Baustoffindustrie, verarbeitendes Gewerbe, Architekten und Planer oder Investoren – was wollen Sie mit einer Sonderabschreibung, die bis zum Ende der Legislatur befristet ist, wenn Sie sich nicht einmal darauf verlassen können, dass Ihr Bauantrag bis dahin genehmigt ist und Sie in den Genuss der Förderung kommen? Was nutzt der immer wieder vom Bundesbauminister gegebene Hinweis auf die 5 Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau im Bundesetat, wenn dieses Geld über 4 Jahre aufgeteilt in der zweiten Hälfte der Legislatur schon wieder von 1,5 auf 1 Milliarde pro Jahr gekürzt wird und in Verbindung mit der mangelhaften Kofinanzierung und Zweckbindung der Länder einfach nicht ausreicht. Und mit Diskussionen über Enteignungen, wie sie im Land Berlin derzeit geführt werden, gewinnen Sie keine Investoren. Wir brauchen Planungssicherheit.

Dr. Ronald Rast: Mittel- und langfristig geht es um einen Dreiklang, den wir als Gesellschaft gemeinsam schaffen müssen. Die schnelle Schaffung bezahlbaren Wohnraums, die deutliche Erweiterung der energetischen und altersgerechten Gebäudesanierung inklusive des erforderlichen Ersatzneubaus sowie die bessere Vernetzung von Stadt und Umland. Unsere Schwerpunktthemen zur weiteren Entwicklung eines bedarfsgerechten Wohnungsbaus sind: angemessene staatliche Förderung, Bereitstellung von kostengünstigem Bauland sowie Ausbau von Infrastruktur und ÖPNV.

Redaktion: Im Frühjahr hat Ihre Ankündigung, die geplante Holzbau-Offensive des Landes Baden-Württemberg notfalls gerichtlich bewerten zu lassen, die baupolitische Debatte geprägt. Welchen Sachstand gibt es?

Dr. Hannes Zapf: Zunächst ist eines wichtig – unsere Aktivitäten richten sich nicht gegen den Baustoff Holz. Die Holzbauweise soll sich ebenso wie alle anderen Bauweisen im Wettstreit der besten Konzepte beweisen. Wir sind allerdings der Meinung, dass die einseitige politische Förderung eines Baustoffs bzw. einer Bauweise nicht mit dem Haushalts- und Wettbewerbsrecht vereinbar ist. Politik hat die Aufgabe, faire Rahmenbedingungen für alle Marktteilnehmer zu schaffen, das verlangt nach Technologie- und Materialoffenheit. Die Auswahl des richtigen Baumaterials sollte Sache von Architekten, Planern und natürlich den Bauherren bleiben.

Dr. Ronald Rast: Natürlich wäre es uns lieber, den Sachverhalt außergerichtlich zu klären. Die letzten Gespräche mit der Landesregierung Baden-Württemberg stimmen mich hier vorsichtig optimistisch.

Die Studie der ETH Zürich vor einigen Wochen hat der Debatte einen ganz wichtigen Aspekt hinzugefügt. Unsere Wälder können Klimaschützer sein, aber nur wenn wir aufforsten statt abholzen. Dass der deutsche Wald angesichts von Trockenschäden, Käferbefall und Sturmfolgen in seiner Funktion als CO2-Speicher gefährdet ist, hat selbst die nordrhein-westfälische Umweltministerin Ursula Heinen-Esser eingeräumt, übrigens bei der Gründungsversammlung von ProHolz NRW. Auch Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner hat Forderungen nach einem Wiederaufforstungsprogramm gestellt – und ein offener Brief von Wald- und Forstspezialisten an die Bundesministerin zeigt ganz deutlich auf, dass mehr Holzeinschlag jetzt der falsche Weg wäre.

Redaktion: Wenn Sie den Blick auf die eigenen Mitglieder werfen, was sind die wichtigsten Themen und wie wird sich die Branche entwickeln?

Dr. Hannes Zapf: Wir alle konnten einen sehr guten Jahresstart verzeichnen, daran hatte auch der milde Bauwinter seinen Anteil. Wir sind guter Dinge, dass das Gesamtjahr 2019 am Ende auch mit dem prognostizierten Wachstum von 2 bis 3 Prozent bei der Absatzentwicklung gegenüber dem Vorjahr bilanziert werden kann. Sorgen bereiten uns die zuletzt sinkenden Zahlen bei den Baugenehmigungen. Wenn sich dieser Trend im mehrgeschossigen Wohnungsbau verfestigt, ist der Wohnraummangel nicht zu lösen.

Sehr erfreut nehmen wir zur Kenntnis, dass mehr und mehr Kommunen angesichts der heißer werdenden Sommer den Wert der thermischen Speichermasse wiederentdecken. So setzt etwa meine Heimatregion Nürnberg bei der Planung von Wohnungen, Kitas und Schulen explizit auf die bewährte Massivbauweise, um die Wärmespeichereffekte optimal zur Vermeidung von extremen Spitzentemperaturen im Sommer zu nutzen und statt teurer Klimaanlagen in Verbindung mit nächtlicher Lüftung ganzjährig für ein ausgeglichenes Raumklima zu sorgen. Insofern tun wir gut daran, von den Südeuropäern zu lernen.

Unsere wichtigsten Branchenaufgaben lauten Nachwuchsgewinnung, Rohstoffsicherung und Digitalisierung. Vor allem bei letzterer steht uns in der kleinteiligen Bauwirtschaft eine Riesenaufgabe bevor, die wir in kurzer Zeit lösen müssen. Neue Netzwerke müssen geknüpft werden, um Software-Anbieter und die traditionelle, meist regional verwurzelte Bauwirtschaft zusammenzuführen. In Bayern sind wir mit dem „Netzwerk innovativer Massivbau“ auf einem guten Weg.