Weltweit erstes Gebäude mit Algenfassade
Im Rahmen der Internationalen Bauausstellung (IBA) Hamburg entsteht das zukunftsweisende BIQ Algenhaus, das über eine Bioreaktorfassade einen Teil des eigenen Energiebedarfs deckt. Das weltweit erste Gebäude mit einer lebenden Fassade setzt zudem auf einen integrierten Energiekreislauf, der ausschließlich erneuerbare Quellen nutzt.
Die Anforderung an die Energieeffizienz von Gebäuden nimmt weiter zu. Die kommende EnEV 2013 forciert den Standard Niedrigstenergiegebäude, bei dem der Energieverbrauch gegen Null geht oder der geringe Bedarf sich zum größtmöglichen Teil aus regenerativen Quellen speist. Bis Ende 2018/2020 sollen die Regelungen greifen. Das bisher angewendete Verfahren der Fassadendämmung muss demnach um innovative Lösungen erweitert werden, die die Fassade zur aktiven Energiegewinnung nutzen.
Im Rahmen der Internationalen Bauausstellung (IBA) Hamburg entsteht das zukunftsweisende BIQ Algenhaus, das über eine Bioreaktorfassade einen Teil des eigenen Energiebedarfs deckt. Das weltweit erste Gebäude mit einer lebenden Fassade setzt zudem auf einen integrierten Energiekreislauf, der ausschließlich erneuerbare Quellen nutzt. Bauherr und Investor des innovativen Projekts ist die Otto Wulff Bauunternehmung.

Integriertes Energiekonzept ermöglicht Kreislaufsystem
Die wichtigste Funktion der Algenfassade ist die Erzeugung von Biomasse. Über sie wird Kohlenstoffdioxid gespeichert und gleichzeitig Methan (Biogas), gewonnen. Zusätzlich gewinnt die Fassade Energie, indem sie das nicht von den Algen genutzte Licht absorbiert und – ähnlich wie in einer solarthermischen Anlage – Wärme erzeugt. Diese Wärme wird in die Energiezentrale – das Rechenzentrum des integrierten Energiesystems – ausgekoppelt und dann entweder im Gebäude genutzt oder in das Nahwärmenetz eingespeist bzw. im Erdboden zwischengespeichert.
BIQ verfügt über 200 Quadratmeter Bioreaktorfassade. Bei einem Ertrag von 15 Gramm Trockenmasse pro Quadratmeter und Tag kann bei der Umwandlung von Biomasse in Biogas ein Nettoenergiegewinn von rund 4.500 Kilowattstunden pro Jahr erzielt werden. Zum Vergleich: Eine vierköpfige Familie verbraucht im Jahr etwa 4.000 Kilowattstunden. Die BIQ-Algenfassade könnte somit den gesamten Haushalt der Familie mit Biostrom versorgen. Hinzu kommen circa 32 Megawatt an Wärmegewinn über die Fassade.

Aufbau der äußeren Algenfassade
So komplex die Abläufe zunächst erscheinen mögen, so einfach sind sie bei näherer Betrachtung: Die Algenfassade wie das gesamte Kreislaufsystem nutzen verschiedene biochemische und physikalische Reaktionen und führen sie zu einem aktiven Energiegewinnungssystem zusammen. Damit dies gelingt, besteht die Fassade aus lichtdurchlässigen, plattenförmigen Glaselementen, den sogenannten Bioreaktoren. In dem darin befindlichen Glaszwischenraum zirkuliert das für die Algenzucht notwendige Kulturmedium. Zur thermischen als auch akustischen Isolation dienen vorgespannte Scheiben. Das für die Photosynthese der Algen benötigte Sonnenlicht wird von den rund drei Meter hohen und 60 Zentimeter breiten Bioreaktoren eingefangen, die an der nach Süden ausgerichteten Gebäudeseite angebracht sind. Das vorderseitig verwendete reflektionsfreie Weißglas sorgt für die optimale Ausnutzung der Sonnenstrahlen.
Alle Bioreaktoren sind zu einem Cluster zusammengeschlossen, der über einen Wasserkreislauf ständig mit Kohlenstoffdioxid und den Nährstoffen Stickstoff und Phosphor versorgt wird. Aufsteigende Luftblasen sorgen für eine kontinuierliche Durchmischung des Wassers im Reaktor. Entlang der Ränder des Clusters verlaufen die dazu notwendigen Zu- und Ableitungen in einem 30 Zentimeter breiten Zwischenraum zwischen Außenwand und Bioreaktor.

Energiegewinnung im Inneren der Algenfassade
Unter Einwirkung des Sonnenlichts betreiben die Mikroalgen und die über den Wasserkreislauf zugeführten Elemente Kohlenstoffdioxid, Stickstoff und Phosphor Photosynthese. Die bei diesem Transformationsprozess entstehende chemische Energie, wird später zum Aufbau von organischer Substanz – der sogenannten Biomasse – aus anorganischem CO² benötigt.
Die so entstanden Algen werden in den Technikraum im Inneren des BIQ geleitet, wo sie vom Kulturmedium getrennt und zu einem dicken Brei aus Algenbiomasse angereichert werden.
Wieder aufbereitet mit Kohlenstoffdioxid und Nährstoffen, wird das Kulturmedium in den Kreislauf zurückgespeist, während die Biomasse in einen Sammelbehälter fließt und bei fünf Grad für einige Tage zwischengelagert wird. Aus der so gewonnenen Biomasse kann in einer externen Anlage Biogas gewonnen werden – mit einem Wirkungsgrad von bis zu 80 Prozent.
Hauseigene Energiezentrale steuert Prozessabläufe
Den Mittelpunkt des Kreislaufs bildet die BIQ-Energiezentrale, die die notwendige Technik für den gesamten Betrieb der Bioreaktorfassade sowie für die Erzeugung und Verteilung von Energie bereitstellt. In ihr ist die Messstation untergebracht, die alle für das Algenwachstum relevanten Parameter bestimmt und überprüft sowie den Nährstoff-, Sauerstoff- und Salzgehalt, den pH-Wert, die Trübung und die Temperatur reguliert. Zusätzlich übernimmt die Anlage messtechnische Funktion, indem sie die Produktion und den Verbrauch erfasst und steuert. Je nach Bedarf passt die Energiezentrale die Leistung sämtlicher Geräte kontinuierlich an, so dass ein optimaler Prozessablauf und energieeffizienter Betrieb des Gebäudes gewährleistet ist.
Neben der aktiven Energiegewinnung übernimmt die Algenfassade selbstverständlich auch alle Funktionen einer konventionellen Gebäudehülle, wie die der Wärme- und Kälteisolation und des Sonnen- und Schallschutzes.

Nachhaltige Energiegewinnung für zukunftsfähige Gebäude
Die Anwendungsmöglichkeiten dieser innovativen Fassadentechnologie sind vielfältig: Zum einen eignet sie sich aufgrund ihres geringen Platzbedarfs für den urbanen Raum, so dass sie für den Wohnungsbau interessant ist. Zum anderen lässt sich mit großen Reaktorflächen auf den Dächern von Industrie- und Gewerbebauten ein beträchtliches Energiepotenzial aktivieren. Auch deshalb, weil die Integration einer Algenfassade nicht nur bei Neubauten, sondern auch bei der Modernisierung von Bestandsgebäuden möglich ist.
Ein weiterer positiver Nebeneffekt der Bioreaktortechnologie: Sie reduziert die CO²-Emission im Gebäudebereich. Dies bietet insbesondere für Unternehmen den Vorteil, das bei Produktionsprozessen anfallende schädliche Rauchgas sofort abzubauen, als regenerative Energie zu verwenden und somit aktiv zum Klima- und Umweltschutz beizutragen.
Die Algenfassade gibt einen Ausblick, wohin sich die Fassadentechnik entwickeln wird: Ihre Intelligenz entscheidet mit darüber, wie zukunftsfähig ein Gebäude sein wird.