Trends in Architektur, Ingenieurwesen und Baugewerbe
In den Branchen Architektur, Ingenieurwesen und Baugewerbe (AEC) sind Veränderungen und sich ständig weiterentwickelnde Trends keine Seltenheit. Darüber hinaus hat die weltweite Pandemie viele Industriezweige gezwungen, ihren Kurs zu ändern, und AEC bildet dabei keine Ausnahme. Global tätige Unternehmen passen ihre Geschäftstätigkeit nicht nur als Reaktion auf die Pandemie, sondern auch auf den Klimanotstand an. Einige Trends, die Veränderungen auslösten, sind heute zu einem festen Bestandteil der AEC-Branche geworden.
Werfen wir in Anbetracht dessen einen Blick auf die Trends in den Branchen Architektur, Ingenieurwesen und Baugewerbe, mit denen Experten rechnen.
Die fortschreitende Dekarbonisierung des Baugewerbes
Heute leben rund 56 % der Weltbevölkerung, d. h. 4,4 Milliarden Menschen, in Städten. Dieser Trend wird sich voraussichtlich fortsetzen, sodass sich die Stadtbevölkerung bis 2050 verdoppelt. Dieser Anstieg der städtischen Bevölkerung verlangt, dass wir schnell neue Städte entwickeln, was wiederum bedeutet, dass wir neue Infrastrukturanlagen bauen müssen und so mehr Kohlenstoff in die Atmosphäre abgeben. Tatsächlich verbraucht der laufende Neubau eine enorme Menge an Rohstoffen und trägt gleichzeitig zu geschätzten 39 % der weltweiten Kohlenstoffemissionen bei. Das Baugewerbe trägt also erheblich Mitschuld an den negativen Umweltauswirkungen, weshalb Akteure der Branche ihre Klimaeinflüsse durch eine Dekarbonisierung der Bauprozesse reduzieren müssen.
Entwicklung neuer Kohlenstoffdatenbanken
Stahl und Beton, die im Bauwesen verwendet werden, tragen maßgeblich zu den grauen CO2-Emissionen bei. Ein kohlenstoffeffizienteres Management der Herkunft dieser Materialien kann dazu beitragen, die Emissionswerte zu senken. Daher benötigt die AEC-Branche Zugang zu den Herstellern dieser Materialien. Es gibt verschiedene Dienste und Datenbanken mit detaillierten technischen Beschreibungen von Bauprodukten, die den Benutzern dabei helfen, die einzelnen Hersteller nachzuverfolgen, sodass Infrastrukturunternehmen eine fundierte Entscheidung über die von ihnen gewählten Lieferanten und Materialien treffen können. Der Embodied Carbon in Construction Calculator (EC3) und One Click LCA sind führende Datenbankanbieter, die es Anwendern ermöglichen, Daten aus der Lieferkette zu bewerten und gleichzeitig die Spezifikation und Beschaffung von kohlenstoffarmen Optionen zu ermöglichen.
Die Bentley iTwin-Plattform, die Grundlage für die Erstellung und Verwaltung digitaler Zwillinge, kann sowohl in EC3 als auch in One Click LCA integriert werden, sodass Anwender Mengenabnahmeberichte, die mit der iTwin Reporting Platform erstellt wurden, entweder nach EC3 oder One Click LCA exportieren können, was eine bequeme Lebenszyklusanalyse von Infrastrukturprojekten ermöglicht. Die Bentley iTwin-Plattform ermöglicht es Anwendern, technische Daten zu integrieren, die mit verschiedenen Entwurfstools erstellt wurden. Durch diese Integration können sie dann eine Zusammenfassung der Entwurfsdaten exportieren, sodass sie Einblicke in die Umweltauswirkungen des Infrastrukturprojekts erhalten.
Umsetzung wichtiger Entwurfsänderungen
Neben der Wahl des geeigneten Baumaterials sollten Architekten auch darauf achten, einfache Maßnahmen in ihre Entwürfe einzubauen, um den CO2-Fußabdruck eines Gebäudes zu reduzieren. So ist der Bau von Gebäuden mit unterirdischen Parkplätzen nicht so vorteilhaft wie der Bau von Parkplätzen im Erdgeschoss, da der Kohlenstoffverbrauch beim Bau von Tiefgaragen deutlich höher ist.
Auf dem Weg zu Design For Manufacturing and Assembly (DFMA)
Die Offsite-Fertigung (Offsite Manufacturing; OSM) ist eine effektive Methode zur Steigerung der Bauproduktivität und könnte ebenfalls dazu beitragen, die Dekarbonisierungsinitiative zu beschleunigen. Die Fertigung modularer Komponenten in einer kontrollierten Produktionsumgebung unter Verwendung von Innenräumen an einer Produktionslinie und deren anschließende Montage auf der Baustelle kann zu weniger Abfall führen. Sie hilft auch, die Menge an produziertem Kohlenstoff zu kontrollieren. Dieser Ansatz könnte auch die Gesamtumweltbelastung durch Baustellen aufgrund des geringeren Verkehrsaufkommens verringern.
Steigendes Interesse an standardisierten Komponenten
Das Interesse an einer Standardisierung der im Bauwesen verwendeten Komponenten hat zugenommen. Viele Anwender der offenen Plattform von Bentley haben damit begonnen, standardisierte Komponenten in den Bentley-Komponentenkatalog zu importieren, sodass sie eine digitale Ansicht dieser Komponenten erhalten. Diese standardisierten Objekte können auf Materialkonformität und Baubarkeit geprüft und genehmigt werden. Anwender können sie mit einem hohen Maß an Vertrauen auswählen, dass sie die Projektanforderungen erfüllen.
Bessere Nutzung vorhandener Bestände
Jede Infrastrukturanlage verfügt über graue CO2-Emissionen, die beim Bau des Gebäudes in Kauf genommen werden. Und dann ist da noch der betriebliche Kohlenstoff, der sich aus der täglichen Wirtschaftlichkeit der Energieversorgung der Anlage ergibt und je nach Geschäftszweck oder interner Funktionen angepasst werden kann.
Bei der Durchführung von Kohlenstofflebenszyklusbewertungen können Fachleute einen Ansatz von Anfang bis Ende in Betracht ziehen. Bei der Praxis von der Wiege bis zur Bahre (Cradle to Grave) müssen das Ende der Lebensdauer eines Gebäudes beim Abriss und die Kohlenstoffkosten dieser Maßnahmen, einschließlich des Materialrecyclings, berücksichtigt werden. Im Ansatz von der Wiege bis Werkstor (Cradle to Gate) berücksichtigen die Anwender Anpassungen oder Umrüstungen. Diese können in Bezug auf den Kohlendioxidausstoß erheblich sein und während der Lebensdauer einer Anlage mehr als einmal auftreten. Beide Ansätze sind Teil des Konzepts der Kreislaufwirtschaft. Sollten Planer bei ihrer ursprünglichen Planung die Anpassungsfähigkeit und Flexibilität berücksichtigen, um Änderungen in der Startphase in Bezug auf den Kohlendioxidausstoß weniger kostspielig zu gestalten und folglich die Lebensdauer der Anlage zu verlängern und die Notwendigkeit zu verringern, so viel abzureißen, wie es derzeit der Fall ist?
Die frühzeitige Planung während der Entwurfsphasen kann dazu beitragen, die betrieblichen Kohlenstoffemissionen eines Gebäudes zu kontrollieren. Mehrere Layout-Optionen können unter Berücksichtigung der Energie- und Materialkosten für den Lebenszyklus und die Betriebskosten bewertet werden, sodass Fachleute die umweltfreundlichste Option finden können. Bei grauen CO2-Emissionen, die nicht nur bei der Erstkonstruktion, sondern auch bei Rückerstattungen und Anpassungen berücksichtigt werden müssen, wäre ein Ansatz das Konzept von Buildings as Material Banks (Gebäude als Werkstoffbanken), die auf reversiblen Gebäude-Entwürfen und Werkstoffpässen basieren. Bei Letzteren handelt es sich um Informationen über die Wiederverwendung und Rückgewinnung von Materialien, bei Ersteren geht es um den effizienten Zugang zu und die Wiederbeschaffung von Materialien bei Anpassungen und Umrüstungen.
OpenBuildings Energy Simulator – die Energieanalysefunktion von OpenBuildings Designer von Bentley – ermöglicht es Ingenieuren, Architekten und Designern, Beleuchtungs-, Wärme- und Solaranalysen in ihren Arbeitsablauf zu integrieren und nachhaltige Gebäudeentwürfe zu entwickeln. Benutzer können das Energieverhalten und die Brennstoffeffizienz vorhersagen und gleichzeitig die thermischen Eigenschaften verschiedener Baumaterialien analysieren, um energieeffizientere Gebäude zu entwerfen, die im Betrieb weniger Energie verbrauchen.
Die Technologie des digitalen Zwillings kann auch eine entscheidende Rolle bei der Dekarbonisierung bestehender Gebäude spielen. Eigentümer und Facility-Manager können OpenCities 365, die Lösung für digitale Zwillinge der Infrastruktur für Städte und Campus, zusammen mit Microsoft Cloud nutzen, um digitale Zwillinge ihrer physischen Anlagen zu erstellen. Durch die Integration digitaler Zwillinge mit Sensoren und Geräten des Internets der Dinge können Eigentümer und Gebäudemanager genau nachvollziehen, wie ein Gebäude genutzt wird, und seinen ökologischen Fußabdruck reduzieren, indem der Energieverbrauch verschiedener Komponenten und Systeme gesenkt wird. Anwender können auch den Kohlenstofflebenszyklus des Gebäudes verstehen und zukünftige Kohlenstoffemissionen über den gesamten Lebenszyklus der Anlage vorhersagen, sodass sie fundierte Entscheidungen über die Erweiterungs- oder Umbaupläne des Gebäudes treffen können.
Das Streben nach Offenheit und kooperativem Arbeiten
Interoperabilität, d. h. der Fluss von grafischen und nicht grafischen Daten zwischen Softwareanwendungen oder Technologieplattformen, war schon immer eine Herausforderung für die Branche. In der Zeit nach der Pandemie hat die Einführung neuer Technologieplattformen wie der Cloud die Technologielandschaft verändert und gleichzeitig den Ruf nach Offenheit lauter werden lassen. Auch die Suche nach neuen Arbeitsmethoden hat zugenommen.
Der IFC-Standard (International Foundation Class) steht im Mittelpunkt vieler Ansätze zur Lösung dieser Probleme. Aufgrund seines Status als ISO 16739-1:2018 wird er seit Jahren im typischen vertikalen Bau eingesetzt. Der IFC4.3-Standard, der dem ISO-Rat vorgelegt wurde, hat diesen Ansatz auf lineare Projekte wie Straßen- und Schienenverkehrsprojekte erweitert, da die Organisation buildingSMART sich hinter den Kulissen bemüht hat, verschiedene Aspekte der Infrastruktur einzubeziehen. IFC-Standards sind das Herzstück des Datenaustauschs und des Datenflusses innerhalb der neuen cloudbasierten Kohlenstoffdatenbanken und -rechner und helfen so der Branche, die Dekarbonisierung von Bauprojekten voranzutreiben.
Die Pandemie und die anschließenden Veränderungen bei der Remote-Arbeit haben Herausforderungen mit sich gebracht, die durch die Einführung besserer Optionen zur Arbeitsteilung, wie ProjectWise und ProjectWise 365 mit ProjectWise Drive, bewältigt wurden. Dieses Angebot kombiniert die Leistungsfähigkeit der ProjectWise-Plattform für eine gemeinsame Datenumgebung mit dem Komfort der OneDrive-Dokumentenplattform von Microsoft.
Viele Anwender erkennen die Vorteile der Bentley iTwin-Plattform, mit der technische Daten und Daten aus Unternehmenssystemen, IoT-Sensoren und Data Lakes zusammengeführt werden können. iTwin.js wurde als offene Plattform mit veröffentlichten, frei verfügbaren Anwendungsprogrammschnittstellen entwickelt und kann von Anwendern erweitert werden, um Integrationen mit anderen verfügbaren Systemen zu erstellen. Ein herausragendes Beispiel ist die Möglichkeit, eine Verbindung zu externen APIs wie One Click LCA und EC3 herzustellen, wodurch Daten direkt aus iTwin in One Click LCA-/Kohlenstoffrechnern veröffentlicht werden können. Möglicherweise veröffentlichen oder öffnen mehr Anbieter APIs, um die Offenheit und Arbeitsteilung zu fördern.
Weitere Beispiele für die Bemühung um Offenheit und Zusammenarbeit sind die über die Bentley iTwin-Plattform hergestellten Verbindungen zur Omniverse-Plattform von NVIDIA, zur Unity-Engine-Plattform und zur Unreal-Engine-Plattform – allesamt leistungsstarke Plattformen für die Zusammenarbeit, die in der Planungsbranche eingesetzt werden, um effektivere und nachhaltigere Lösungen zu liefern.
Innovationen und Unterbrechungen
Gemischte Realität (MR) kombiniert erweiterter Realität (AR) mit virtueller Realität (VR) und bietet dem Baugewerbe neue und spannende Vorteile. Mit MR-Headsets können Architekten und Ingenieure virtuelle Führungen durch Modelle oder Baustellen abhalten, wie beispielsweise im Rahmen des ITER-Projekts. Sie können es Mitarbeitenden auch ermöglichen, schrittweise Anweisungen für Installationen und Reparaturen anzuhören und anzusehen und diese Informationen dann bei ihrer aktuellen Arbeit einzublenden.
Zu den fortgeschrittenen Anwendungsfällen gehören auch AEC-Fachleute, die MR nutzen, um Geräte aus der Ferne zu steuern, oder Eigentümer/Betreiber, die MR nutzen, um HLK-, Beleuchtungs- und Zugangskontrollsysteme aus der Ferne zu überwachen. Eingaben aus dem Laserscanning oder der Fotogrammetrie eines Geländes oder bestehenden Gebäudes können in Anwendungen mit künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen eingespeist werden, um Geräte oder Anlagen automatisch zu kennzeichnen, was zu weniger manuellen Eingriffen führt und gleichzeitig eine höhere Genauigkeit und Zeitersparnis gewährleistet.
Die Zukunft der MR-Technologie in der AEC-Branche sieht vielversprechend aus. Letztendlich hängt die breitere Akzeptanz davon ab, ob die Branche bereit ist, die digitale Transformation zu vollziehen, und wie ausgereift die Technologie selbst ist.
Ein Paradigmenwechsel
Die AEC-Branche durchläuft mit dem Übergang von physischen zu virtuellen Umgebungen einen großen Paradigmenwechsel. In diesem Artikel haben wir einige Möglichkeiten in der AEC-Branche für Ingenieur- und Architekturbüros sowie für Eigentümer und Betreiber vorgestellt, die bereit sind, ihre Komfortzone zu verlassen und sich mit der sich entwickelnden Technologie zu verändern.
Autor: Brenden Roche ist Product Expert, Facilities Engineering bei Bentley Systems. Er ist unter brenden.roche@bentley.com zu erreichen.