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Forschungsprojekt HEART geht in die Praxisphase

Unser Energienetz ist abhängig von vielen verschiedenen Faktoren, die fein aufeinander abgestimmt sind. Kleinste Störungen können zu flächendeckenden Stromausfällen oder gar zu größeren Schäden am Netz führen. Insbesondere die naturgemäß schwankenden Erträge aus erneuerbaren Energien erfordern ein Umdenken für die im Energienetz eingesetzten Technologien. Aus diesem Grund wird die Forschung für ein stabiles Stromnetz vorangetrieben. Langlebig, flexibel, fehlertolerant und effizient soll es sein. Diese Ziele verfolgt seit fünf Jahren das Forschungsprojekt HEART (The Highly Efficient And Reliable smart Transformer) an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU). Gefördert von der Europäischen Forschungsgemeinschaft (ERC) startete Professor Marco Liserre vom Kieler Lehrstuhl für Leistungselektronik das ambitionierte Vorhaben, einen smarten Transformator für das moderne Stromnetz zu entwickeln. Heute (Dienstag, 29. Oktober) präsentierte er die Projektergebnisse, und wie es damit weitergeht.

„Wir haben einen neuartigen Stromwandler für das Stromnetz entwickelt, unseren Smart Transformator. Darin verbaut sind Leistungshalbleiter aus Siliziumkarbid, die große Effizienz ermöglichen“, erklärt Professor Marco Liserre. „Die Besonderheit unseres Prototypen ist die modulare Bauweise. Das macht ihn anwendbar als Transformator für das Stromnetz. Einzelne Komponenten können aber auch genutzt werden, um Ladestationen besser in das Stromnetz zu integrieren oder um Gleichstromnetze, aus Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energien, besser an das zentrale Wechselstromnetz anzuschließen. Auch in Energiespeichern kann unser System zum Einsatz kommen“, betont Liserre.

Auf Herz und Nieren getestet

Um die Zuverlässigkeit ihrer Prototypen zu testen und weiter zu verbessern, haben die Kieler Forscherinnen und Forscher verschiedene Testumgebungen aufgebaut. Ihr Fokus lag unter anderem darauf, thermische Auswirkungen auf die einzelnen Komponenten unter Kontrolle zu bringen. Unter realistischen Bedingungen erzeugen sie dafür die Spannung eines Stromnetzes im Labor und wenden die von den Kielern neu entwickelten Methoden „Active Thermal Control“ und „Power Routing“ an. Diese Methoden erlauben ihnen, thermische Auswirkungen bei schwankendem Stromfluss zu mindern. Durch das Anwenden dieser Methoden im Labor können essenzielle Informationen gewonnen werden. „Aus diesen Informationen leiten wir ab, wie wir die Temperatur beeinflussen und die Module damit stressresistenter für schwankende Stromzufuhren machen können“, so Liserre.

Funktionieren die Module in der Laborumgebung, bleibt die Frage, ob sie auch mit dem echten Stromnetz interagieren können. „Wir hatten beim Projektstart die Hoffnung, dass wir mit einem neuartigen Transformator unser traditionelles Stromnetz neu denken können“, berichtet Liserre. Das aktuelle Stromnetz nutze seit über 100 Jahren herkömmliche Transformatoren. „Unsere innovativen Ideen haben das Potenzial, das Stromnetz neu zu erfinden“, ist Liserre überzeugt.

Eine zweite Testumgebung ermöglicht es deshalb, das Stromnetz in Echtzeit zu simulieren (RTDS). Ein Leistungsverstärker produziert die Spannung des Stromnetzes und diverse Stromwandler wirken hier als Smart Transformer. Liserre: „So können wir testen, wie der Smart Transformator in Verbindung mit dem Stromnetz funktionieren wird und ob er die Leistung bringt, die wir erwarten.“ Darüber hinaus seien auch an dieser Teststation verschiedene andere Testszenarien möglich: die Zusammenarbeit von Transformatoren mit Windenergie-Systemen, Speichersystemen oder Solarzellen sowie deren Interaktion mit dem Stromnetz.

„Unsere Projektergebnisse sind sehr vielversprechend. Mit der Weiterentwicklung unserer Prototypen konnten wir beweisen, dass der Smart Transformator besser die unterschiedlichen Energiequellen in das Stromnetz bringen kann und der Vorgang besser kontrolliert werden kann. Darüber hinaus hat unser Transformator eine höhere Lebensdauer und ist zuverlässiger als herkömmliche Transformatoren“, so Liserre.

Ein neues Mittelspannungslabor und Feldtest in Schottland

Um die Ergebnisse des Forschungsprojekts HEART weiteren Tests zu unterziehen, wurde am Lehrstuhl für Leistungselektronik an der Technischen Fakultät ein neues Mittelspannungslabor eingerichtet und heute (29. Oktober) eröffnet. In diesem Labor wird es möglich sein, Prototypen der Transformatoren im Bereich der Mittelspannung zwischen 10 Kilovolt und 1 Megawatt zu testen und gleichzeitig Echtzeitsimulationen von Stromnetzen durchzuführen. Liserre: „Damit können wir reale Szenarien unter Laborbedingungen auch im größeren Maßstab testen. Das wird uns näher an unser Ziel bringen, den Smart Transformator im echten Stromnetz einzusetzen.“

Parallel wird zusammen mit dem Partner Scottish Power (SPEN) ein Praxistest „LV Enginge“ (LV steht für Low Voltage, Niederspannung) realisiert. Sie planen, bis 2022 einen Netzwerkversuch unter anderem mit dem Kieler Smart Transformator durchzuführen. „Wir unterstützen das Unternehmen dabei, den Transformator einzusetzen und hoffen, sie mit den neuen Ergebnissen aus dem Mittelspannungslabor aber auch mit den Feldtestergebnissen von unserem Transformator zu überzeugen“, so Liserre.

Als nächstes wollen die Kieler Forschenden herausfinden, welche Auswirkungen der weitere Ausbau der erneuerbaren Energien für Knotenpunkte im Netz hat und welche Eingriffe ein intelligenter Transformator im Netz vornehmen kann, ohne das Netz zu belasten. Außerdem sei eine Erweiterung des Labors zum Thema Energiespeicher geplant. Finanziell unterstützt wird das neue Labor durch die Gesellschaft für Energie- und Klimaschutz Schleswig-Holstein (EKSH) und durch die Wirtschaftsförderung und Technologietransfer Schleswig-Holstein GmbH (WTSH).

Fünf Jahre ausgezeichnete Forschung

Mit dem Projektstart in 2014 erhielten die Kieler Forscherinnen und Forscher zwei Millionen Euro von der Europäischen Forschungsgemeinschaft (ERC). 2018 erhielten die Kieler eine weitere ERC-Förderung, um zentrale Entwicklungen aus dem HEART-Projekt zur Marktreife zu bringen. Aktuell planen sie, den Transformator in Zusammenarbeit mit Unternehmen am Markt zu platzieren, aber auch die Gründung eines eigenen Start-ups kann sich Marco Liserre vorstellen.

Dass sie viel für die Forschung aber auch für den Energiemarkt zu bieten haben, beweisen zahlreiche Auszeichnungen, Förderungen, Publikationen und Patente sowie neue Projekte, die ebenfalls als Ergebnisse des HEART-Projekts zählen:

  • bislang 167 Publikationen (davon 102 Konferenzartikel, 65 internationale Forschungspublikationen in renommierten Fachjournalen)
  • sechs eingereichte Patente auf Basis von Projektergebnissen
  • zwei direkte Folgeprojekte: LV Engine, U-HEART
  • zwölf verwandte Folgeprojekte, die Teilaspekte des Projekts aufgreifen, zum Beispiel Beteiligung am Kopernikus-Projekt ENSURE oder KielFlex
  • drei IEEE Awards für Prof. Marco Liserre sowie zweiter Platz für den IEEE Award Transaction of power electronics (IEEE ist ein weltweiter Berufsverband für Ingenieurinnen und Ingenieure im Bereich Elektrotechnik und Informationstechnik)
  • acht Awards für Doktorandinnen und Doktoranden im Projekt, vergeben auf internationalen Fachkonferenzen
  • Listung von Prof. Marco Liserre im „Science Citation Index by Thomson Reuters“ für eine hohe Anzahl an Zitierung